Coming Together: Eine Grundlagenstudie über die Rolle von Coaching im Fusions- und Übernahmeprozess

Fusionen und Übernahmen werden seit vielen Jahrzehnten als wichtige Wachstumsstrategie angesehen, doch nur wenige dieser Projekte haben schlussendlich das gewünschte Ergebnis erzielt. Tatsächlich ist fast die Hälfte aller Fusionen und Übernahmen nicht erfolgreich (Gerds und Schewe, 2014; Jemison und Sitkin, 1986). Ohne eine effektive Führung und Unterstützung können Übernahmen in Unternehmen eine weitreichende Krise auslösen, von der man sich erst nach Jahren erholt. Wenn sie nicht effektiv durchgeführt werden, können sie zu verschwendeten finanziellen Ressourcen, hoher Personalfluktuation, Burn-out sowie Angst und Frustration bei Mitarbeitenden und Manager:innen führen (Kotter, 2012).

Diese Studie von Jonathan Passmore (CoachHub’s SVP für Coaching) und Heiki Thomas stellt die Rolle des Coachings bei Fusionen und Übernahmen als ein wichtiges Instrument dar, um die positiven Auswirkungen zu verstärken und die oben beschriebenen potenziellen negativen Auswirkungen zu reduzieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Themen Führung, Kultur und Kommunikation die wichtigsten Faktoren sind, die eine erfolgreiche Fusion oder Übernahme ausmachen. Die Studie erläutert auch potenzielle Risiken und Grenzen im Zusammenhang mit Coaching sowie die Bedeutung einer Vertrauenskultur, die Wichtigkeit von klar definierten Messgrößen und die Vereinbarung von Coaching-Methoden und -Verträgen von Anfang an.

Literaturübersicht:

Thomas und Passmore (2021) beziehen Daten aus einer Reihe von Literatur von erfahrenen Fusions- und Übernahmeexperten heran. Die folgenden Punkte sind in der Literaturanalyse zu berücksichtigen:

• Ashkenas (2014) vertrat die Ansicht, dass Fusionen und Übernahmen mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein werden, wenn sie die menschlichen Faktoren angemessen berücksichtigen. Wirtschaftliche und organisatorische Faktoren wie Strategie, Preis und Positionierung sind wichtig, die Auswirkungen psychologischer Aspekte werden jedoch tendenziell unterschätzt. Ashkenas empfiehlt, in der Phase vor dem Zusammenschluss eine sorgfältige Identitätsprüfung des übernommenen Unternehmens durchzuführen.
• Fuchs (2001) weist auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn die Mitarbeitenden bei der Integration in die neue Organisationsstruktur nicht angemessen unterstützt werden. Fuchs fordert Führungskräfte auf, die strategischen Perspektiven zu stärken und während der Übergangsphase sowie in der Integrationsphase nach der Akquisition professionelles Coaching anzubieten.
• Visagie (2010) unterstreicht die Wirksamkeit von Team-/ Gruppencoaching mit Schwerpunkt auf der mentalen Gesundheit. Ein gezieltes Coaching-Programm zur Unterstützung von Manager:innen während einer Fusion und Übernahme verbessert nachweislich das Wohlbefinden aller Beteiligten und wirkt sich wiederum positiv auf den Übergangsprozess aus.
• Weber (2015) betont, wie wichtig es ist, alle Führungskräfte zusammenzubringen, um einen klar definierten Plan für die Einführung von Coaching während einer Fusion oder Übernahme zu entwickeln. Die Vorteile von Coaching, welche Ziele erreicht werden sollen, wie Erfolg aussieht und die Kompetenzen des Coaches müssen klar kommuniziert werden, damit das Programm effektiv ist.
• Grant (2014) stellte die Hypothese auf, dass die Teilnahme am Coaching-Programm die Zielerreichung erhöht, das lösungsorientierte Denken verbessert, die Führungsqualitäten stärkt, Ängste und Stress verringert und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz erhöht.
• Clutterbuck (2011) bestätigt, dass ein organisationsübergreifendes Coaching frühzeitig, d. h. bereits in der Phase der öffentlichen Verhandlung, stattfinden sollte. Dies kann sich stark auf das berufliche Engagement auf beiden Seiten der Organisation auswirken, da es dazu beiträgt, Vertrauen aufzubauen, kulturelle Hindernisse für die Integration zu ermitteln und informelle Kommunikationsnetze zu schaffen.
• Bergamim und Braun (2015) untersuchten die Frage des internen vs. externen Coachings und schlagen vor, externe Coaches frühzeitig und während des gesamten Fusions- und Übernahmeprozesses einzusetzen.

Die Forschung

Die Studie wurde mit 12 Teilnehmer:innen durchgeführt, die nach ihren Erfahrungen mit Fusionen und Übernahmen befragt wurden. Die Teilnehmer:innen stammen aus verschiedenen Branchen, wie dem Bankwesen, dem Maschinenbau, den technischen Dienstleistungen und der Automobilindustrie, und hatten unertschiedliche Positionen auf verschiedenen Führungsebenen und in verschiedenen Abteilungen inne, darunter die allgemeine Geschäftsleitung, die Personalabteilung, die Produktion und die Technik.

Die gemeinsamen Themen, die sich aus den Interviews ergaben, waren Führung, Kultur und Kommunikation. Diese drei Themen erwiesen sich als die wichtigsten Faktoren, die eine erfolgreiche Fusion und Übernahme ausmachen.

Führung

Die Rolle der Führung bei Fusionen und Übernahmen ist entscheidend für deren Erfolg. Eine starke und kooperative Führung trägt zu einem reibungslosen Übergang bei. Untersuchungen haben ergeben, dass die Führungskräfte häufig mit folgenden Problemen konfrontiert waren:

• Emotionale Überforderung bei der Bewältigung der Vielzahl von Veränderungen
• Diskrepanzen zwischen den persönlichen Werten und den Erwartungen des Unternehmens an die Mitarbeitenden
• Vertrauensbildung
• Bewältigung der Auswirkungen von Fusionen und Übernahmen auf das Engagement am Arbeitsplatz
• extremer Druck, in kurzer Zeit eine Investitionsrendite zu erzielen
• Machtkämpfe und Veränderungen auf der Führungsebene
• Führungskräfte finden Ausreden, um nicht zusammenzuarbeiten, selbst wenn beide Seiten der Zusammenarbeit zustimmen

Ein Teilnehmer beschrieb seine Erfahrung als “kleine Jungs im Sandkasten”. Coaching kann eine effektive Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden auf beiden Seiten der Fusion unterstützen. Mit einem neutralen und objektiven Coach werden Konflikte erfolgreich bewältigt.

Kommunikation

Die Kommunikation ist eines der wirksamsten Mittel, um eine Fusion oder Übernahme in die eine oder andere Richtung zu lenken, und birgt daher das größte Risiko zu misslingen. Die Teilnehmer:innen wiesen darauf hin, dass die Kommunikation oft unrealistisch und unehrlich war.

Eine unzureichende Kommunikation während der Fusions- und Übernahmephase kann das Vertrauen in die Führung beeinträchtigen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Mitarbeitenden über Veränderungen auf dem Laufenden gehalten werden und gleichzeitig dazu angeregt werden, sich für die Vision, den Auftrag und die Werte des neuen Unternehmens einzusetzen. Eine konsistente und authentische Kommunikation fördert eine Kultur des Vertrauens und ermutigt die Mitarbeitenden, sich während der Übergangsphase zu engagieren.

Coaching kann die Führungskräfte bei wichtigen Ankündigungen und bei der Übermittlung schlechter Nachrichten unterstützen. Mit Coaching werden Führungskräfte in die Lage versetzt, die relevanten Informationen richtig weiterzugeben und Unklarheiten und Vertrauensverluste zu vermeiden.

Kultur

Alle Befragten erwähnten den Aspekt der Unternehmenskultur. Eine Fusion und Übernahme lässt zwei unterschiedliche Wertesysteme und Führungsstile aufeinandertreffen. Je mehr Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Systemen und Stilen bestehen, desto höher sind die Erfolgschancen.

Fusionen und Übernahmen sind wie ein Hauskauf, bei dem einer auszieht und ein anderer einzieht. Sie bitten im Grunde, Fremde aus unterschiedlichen Häusern zusammenzuziehen und wie gewohnt weiterzuarbeiten. Wenn die Kultur der beiden Unternehmen nicht zusammenpasst, ist der langfristige Erfolg der Fusion und Übernahme unwahrscheinlich.

Coaches können Unternehmen in der Anfangsphase dabei unterstützen, ihre “kulturelle Due Diligence” durchzuführen und Organisationen zu identifizieren, die kulturell zueinander passen, sodass dies ein Schlüsselkriterium für das weitere Vorgehen ist. Unternehmen mit einer gemeinsamen Kultur werden die Gesamtleistung der Fusion und Übernahme langfristig verbessern.

Was muss beachtet werden, damit Coaching zu einem integralen Bestandteil des Fusions- und Übernahmeprozesses wird?

Vertrauen

Vertrauen ist unerlässlich, um mit dem Coaching voranzukommen, weshalb alle Befragten Vorbehalte gegen “verordnetes” Coaching hatten. Wenn das Coaching Führungskräften oder leitenden Angestellten aufgezwungen wird, kann es weniger effektiv sein, insbesondere wenn das übernehmende Unternehmen den Coach beauftragt. In diesem Fall wurde es als manipulativ angesehen und sogar als Gehirnwäsche bezeichnet.

Für ein effektives Coaching ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Führung ein vertrauensvolles Umfeld zwischen Mitarbeitenden, Management und dem Coach schafft.

Internes oder externes Coaching

Die Organisationen müssen entscheiden, ob sie externe Coaches einstellen oder die Aufgabe intern delegieren wollen.

Ein externer Coach ist neutral, unvoreingenommen und in der Lage, eine unabhängige Haltung einzunehmen. Er ist jedoch möglicherweise mit höheren Kosten verbunden und kennt sich mit dem Unternehmen, der Branche, den Prozessen und der Kultur nicht aus.

Ein interner Coach ist mit der Organisation vertraut. Das Risiko besteht darin, dass ein interner Coach ein höheres Maß an Voreingenommenheit mitbringt und aus Sicht der Coachees als manipulierend empfunden werden kann.

Coaching-Methoden

Ein kohärenter Ansatz für das Coaching während einer Fusion oder Übernahme kann durch die Festlegung eines detaillierten Rahmens erreicht werden. Es ist wichtig zu entscheiden, welche Methode für das Unternehmen und seine Kultur am effektivsten ist. Zu den möglichen Methoden gehören kognitives Verhaltenscoaching, Achtsamkeit, neurolinguistisches Programmieren und Schattencoaching.

Die gewählte Coaching-Methode ist der Motor des Programms und sollte von den Führungskräften beider Organisationen entwickelt und von einem professionellen, erfahrenen Coach begleitet werden.

Coaching-Vertrag

Es muss ein klarer Coaching-Vertrag definiert werden, auf den sich alle an der Fusion und Übernahme beteiligten Seiten einigen. Klar definierte Metriken sind wichtig, um Vertrauen und Konsistenz zu schaffen:

• Was bedeutet Erfolg?
• Wie lässt sich die Fluktuation von Mitarbeitenden und/ oder Kund:innen messen?
• Wie lassen sich die Ergebnisse miteinander in Beziehung setzen, um die Auswirkungen auf die Finanzen und die Markenakzeptanz zu ermitteln?
• Welche Ziele werden für die gesamte Laufzeit des Programms gesetzt?

Ein klarer Coaching-Vertrag reduziert Ambivalenzen, steuert die Erwartungen und sorgt für Konsistenz während des gesamten Prozesses. Auch wenn in dieser Phase eine enge Zusammenarbeit zwischen der Geschäftsleitung und dem Coach erforderlich sein kann, wird dadurch die Ambivalenz des Coachings verringert und der Prozess transparenter und greifbarer gemacht.

Zusammenfassend

Coaching bietet eine breite Palette von Methoden und Techniken zur Unterstützung von Veränderungen. Diese Studie ergab, dass ein effektives Coaching-Programm während einer Fusion und Übernahme der Hebel für einen erfolgreichen Übergang sein kann.

Die Forschung zeigt, dass das Coaching, wenn es seine volle Wirkung entfalten soll, frühzeitig in der Phase der Strategieentwicklung eingeführt werden und sich auf die menschlichen Faktoren Kultur, Kommunikation und Führung konzentrieren sollte. Eine Kultur des Vertrauens, klar definierte Methoden und Rahmenbedingungen sind der “Motor” eines wirksamen Coaching-Programms.

Die Ergebnisse zeigen, warum Fusionen und Übernahmen scheitern, und untermauern die These, dass Coaching in allen Phasen des Fusions- und Übernahmeprozesses ein wirksames Mittel sein könnte:

• Festlegung einer Reihe von Werten für das Führungsteam für Fusionen und Übernahmen
• Setzen von ethischen Maßstäbe für eine erfolgreiche Durchführung der Fusion und Übernahme
• Schaffung eines ehrlichen Kommunikationsflusses
• Menschen für ihre Handlungen und Verpflichtungen zur Verantwortung ziehen
• Aufbau starker Beziehungsnetze zwischen beiden Unternehmen

Die Erkenntnisse der Teilnehmer:innen dieser Studie deuten darauf hin, dass die Einführung von Coaching als integraler Bestandteil des Fusions- und Übernahmeprozesses den Prozess wahrscheinlich verbessern und die Chancen auf erfolgreiche Ergebnisse erhöhen wird.

Die Forschung bittet um eine Langzeitstudie, die eine ausreichende Anzahl von Fusionen und Übernahmen erfasst, bei denen ein Coaching-Rahmen während des gesamten Prozesses angewandt wird, und die Ergebnisse mit Fusionen und Übernahmen vergleicht, die keine Unterstützung durch Coaching in Anspruch nehmen.